Sandkorn im Glaskasten

Who cares if one more light goes out in a sky full of stars.

I do.

Heute erreichte mich die Nachricht, dass jemand, mit dem ich früher häufiger zu tun hatte, versucht hat, sich das Leben zu nehmen.

Wir waren nicht befreundet, das wäre zu viel gesagt. Aber wir haben uns eine zeitlang täglich gesehen und hatten diverse Berührungspunkte.

Irgendwann verläuft sich das. Man hört sporadisch Neuigkeiten vom anderen. Freut sich, oder nimmt es nur wahr. Für einen selbst ist das ok. Aber war es das für den anderen? Und was, wenn es demjenigen mit allen Menschen so ging. Dass sie ihm durch die Finger rannen wie die Körner in einer Sanduhr?

Und er am Ende allein im oberen Glas stand. Allein.

Was für ein Begriff ist „allein“.

Menschen können ohne irgendjemanden sein, und sich dennoch nicht allein fühlen.

Menschen können sich allein fühlen inmitten von Menschen, die sie lieben. „Aber du bist doch nicht allein“ heißt es dann oft. „Wir sind für dich da!“. Das stimmt. Und das weiß man. Aber man fühlt es nicht. Das ist eine andere Form von allein sein. Das ist eine besondere Form von Einsamkeit. In einem schalldichten Glaskasten zu sitzen und das Leben zu beobachten. Die Menschen umarmen den Glaskasten. Aber eben nicht dich. Das ist die unerträgliche Form von Einsamkeit.

Ich sehe mir auf Facebook dein Profil an. Du lächelst so strahlend von deinem Profilbild. Ich klicke auf Nachricht senden. Es öffnet sich ein leeres Fenster. Ich war mir so sicher, dass wir in der Zeit irgendwann geschrieben haben. Aber nichts. Das weiße, leere Feld schweigt mich an. Ich weiß, ich bin nicht verantwortlich für das was passiert ist. Wir hatten schon Jahre nichts mehr miteinander zu tun. Ich weiß ich bin nicht verantwortlich für dich.

Aber ich fühle eine Verantwortung.

Mir fallen sofort alle Menschen ein, die damals in unserem Umkreis waren und zu denen ich noch heute Kontakt habe. Ich will es ihnen sagen und kann es doch nicht. Ich habe Angst es auszusprechen. Es zu etwas reellem zu machen, obwohl es genau da bereits ist.

Ich sitze einfach da und bin stumm. Ich sehe die Sonne durchs Fenster auf einen Teil meines Arms strahlen. Ich fühle die Wärme an dieser Stelle und die Kälte im Rest des Körpers. Youtube springt zum nächsten Lied: One more Light von Linkin Park.  „Who cares if one more light goes out in a sky of a million of stars. I do.”

Wir können uns nicht um jeden kümmern, nicht bevor wir uns nicht um uns selbst gekümmert haben. Aber um die Menschen, die uns nah sind, müssen wir uns kümmern. Auch wenn es manchmal anstrengend ist. Niemand sollte allein im oberen Teil der Sanduhr zurück gelassen werden. Drehen wir sie.

Ich weiß zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal, ob du es geschafft hast. Zu gehen. Oder zu leben. Ich hoffe auf letzteres. Und hoffe du willst es.

 

Sorgen kann man teilen. 0800/111 0 111 · 0800/111 0 222 · 116 123 Ihr Anruf ist kostenfrei.

2 Gedanken zu “Sandkorn im Glaskasten

  1. Lutz Reinhardt sagt:

    Hallo Franzi,
    danke für dein Beitrag, sehr genau beschrieben und wahr.
    Einsamkeit verbunden mit Stille in den eigenen vier Wänden ist furchtbar erdrückend.
    In diesen Wänden war mal richtig Leben.
    VG. Lutz

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar