Zahn um Zahn

 

Ich mag ja die Autokorrekur an meinem Handy. Also die, die automatisch die nächsten Wörter vorschlägt, die zum getippten Satz passen. Manchmal wäre es auch schön, wenn sie der Realität entsprechen würden. Ein Beispiel: Ich tippe „Ich bin jetzt auf dem Weg zum …“. Vorgeschlagen wird:

  •  Erfolg (nein)
  • Flughafen (leider auch nein)

„Zahnarzt“ kommt da nicht. Warum? Ich vermute, entweder ist mein Handy empathisch, oder es hat die gleiche skeptische Haltung wie ich. Oder sagen wir: leicht schissrig. Vielleicht auch etwas mehr.
Ok: Panisch! Die blanke PANIK ergreift mich allein beim Wort.
Es klingt schon so bedrohlich: ZAAAAAAHNAAAAARZT. Spürst du es auch? Ich wette JA!

Aber nicht gehen, ist keine Option und endet schlimmstenfalls damit, dass man nur noch Eis kauen kann. Deshalb ist die Zahnarztpraxis eine der Konstanten in meinem Leben, die ich auch mit meinem Umzug aufs Land nicht gewechselt habe. Die Kollegen im Umkreis sind ganz sicher auch kompetent, aber mein Doc ist gesetzt. Ich möchte dort zwar keine Wurzeln schlagen, er aber schon. Haben wir bereits getestet.

Wenn ich einen Termin habe, so wie vergangene Woche, dann weiß das gesamte Team Bescheid. Die Praxis wird mit rosa Wattebäuschen ausgelegt und ich bekomme vor der Betäubungsspritze noch eine extra Betäubung, damit ich die Spritze nicht merke.
Ja, ich bin dort VIP. Very Inordinate Panicer.
Während die Hälfte meines Gesichts einschläft, knautsche ich schon mal den Stressball in meinen Händen warm. Der Stuhl fährt langsam nach unten und gibt den Blick auf die Comics an der Decke frei. Mein Doc will mir vorgaukeln, dieser Besuch wäre reinstes Vergnügen. IST. ES. ABER. NICHT. „Und wenn ich Ihnen weh tu´, einfach Bescheid sagen!“. Genau. Reden. Wie denn? Das würde dann ungefähr so klingen: „Aha, aha. Gigge lig o oll!“ („Aua, aua. Bitte nicht so doll!“). Sehr witzig. Sicher der Runninggag unter den Dentisten.

Ich liege da, mit offenem Mund – oder besser weit aufgerissener Klappe (das äußert sich bei mir sonst anders) – und versuche mich davon abzulenken, dass sich ca. 10 Finger und 3 Werkzeuge inkl. Sauger in meinem Mund befinden. Vielleicht summe ich auch ein bisschen („HNGHNGHNGAAAAA“), ich weiß es nicht. Nachdenken hilft. Zum Beispiel darüber, wie kurz ich wohl vor einer Maulsperre bin und ob mir das stehen würde. Oder ob jemand schon mal einem Zahnarzt in die Finger gebissen hat. Fragen über Fragen.
Ein zartes Bohrgeräusch reißt mich aus meinen Gedanken. Niiiiiiiiiiiiieieeeeeeeeng. Der Sound geht mitten ins Hirn. Vermutlich schließt sich eins meiner Augen zuckend. Ich merke es nicht, ist ja taub. Ich hasse es, wenn diese Höllenmaschine an meinen Zähnen vibriert. Allein beim Gedanken bekomme ich Gänsehaut. Und es gibt definitiv bessere Kombinationen von „Vibration und Gänsehaut“.

Den Rest der Behandlung lasse ich stoisch über mich ergehen. Lethargie. Schockstarre. „So“, sagt mein Doc, während er den Stuhl wieder hochfährt, „war doch halb so schlimm!“. Ich schenke ihm ein halbes Lächeln und lalle ein herzliches Dankeschön für diese angenehme Sitzung. Dann verabschiede ich mich und schlurfe durch die rosa Wattebäusche zurück in die Freiheit.
Wenn ich versuche zu atmen, klappt mein Nasenflügel sofort zusammen und ich bekomme keine Luft mehr. Das ist nicht allzu schlimm, da meine Unterlippe etwas nach unten hängt und so die Luftzirkulation begünstigt wird. Alle Menschen, denen ich begegne, lächle ich übertrieben an, um zu zeigen, dass mein Gesicht ÜBERHAUPT nicht taub ist. Manche schauen etwas verstört, vermutlich wirke ich dezent manisch.
Die sollen froh sein, dass ich nicht rede, ich klinge nämlich in etwa wie Phteven. Kennt ihr nicht? Hier ist er:

funny-phteven-dog-selfie

Mein Zahnarzt schafft eine skurrile Version meiner selbst. Aber er ist der BESTE! ❤

 

 

 

4 Gedanken zu “Zahn um Zahn

  1. René sagt:

    Ich lese selten und vor allem nicht die Mittwoch-Zeitung. Zum Glück hab ich eine Ausnahme gemacht. Selten so gelacht. Gibt’s von dir ein Buch? Wenn ja, welches und wenn nicht, warum nicht?

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