„Haben wir für François auch eine Capri-Sonne?“
Die Frage kommt vom Fahrersitz, gerade hatte ich meinem Mann eines der nostalgischen Trink-Päckchen nach vorn gereicht.
„Jap. François möchtest du?“ gebe ich die Frage weiter.
„Nein, merci. Alles gut.“ antwortet er in schönstem französischem Dialekt. François sitzt auf dem Beifahrersitz. François ist Anhalter. Tramper.
Aufgegabelt haben wir ihn zwei Minuten von unserem Zuhause entfernt an einer Tankstelle. Auf dem Weg in den Erholung. Eigentlich wollten wir hier gar nicht tanken, weil sie immer ein paar Cent teurer ist als andere. Heute nicht.
François stand breit grinsend an der Tankstelle. Mit seinem ausgestreckten Daumen gestikulierte er uns, ihn mitzunehmen. Normalerweise sind wir da vorsichtig. Aber da wir ohnehin tanken mussten, fragten wir ihn ganz unverbindlich, wo er denn hin wolle.
„Nach Zürich.“ war seine freundlich-hoffungsvolle Antwort.
Er wollte in die Schweiz. Wir wollten in die Schweiz. Die Entscheidung fiel in sekundenschnelle aus dem Bauch heraus. Und wie wir später erfahren, auch bei ihm.
„Ein tätowierter Typ mit langen Haaren und eine freundliche Frau daneben. Wer, wenn nicht ihr?“ erklärt er im Laufe der folgenden Fahrt.
Während das Auto vollgetankt wird, hole ich noch ein paar Snacks für den Teenager und Capri-Sonne. Kaufen wir sonst nicht. Aber irgendwie erinnert mich die Sonderedition in der traditionellen Zitronenaufmachung an meine Kindheit. Capri-Sonne. Nicht Capri-Sun. Und irgendwie entschleunigt mich das. Und irgendwie brauch ich genau das gerade auf dem Weg in die Auszeit. Also vier statt drei Packungen gekauft und auf Richtung Abenteuer.
Und nun sitzen wir hier. Zu viert. Ein Musiker. Ein Teenager. Eine Texterin und ein Physiker in spe.
Ihr ahnt es: der Physiker ist François. 25 Lenzen jung. Im letzten Jahr seines Studiums in Zürich.
Seine Haut ist samtwarm melaningefüllt, sein Haar in kleine schwarze Löckchen verdreht. Sein Hemd ist wild gemustert in beige und meerblau und sein Lächeln ist so einnehmend und strahlend, dass man ihn einfach mögen muss.
Einige wenige fragen sich jetzt vielleicht, wo er ursprünglich herstammt. Aus Zürich ja wahrscheinlich nicht. Richtig, gut erkannt. Das französisch deutet schon darauf hin: er kommt aus Genf. 😉
Blonde große Locken auf dem Fahrersitz, kleine dunkle Locken daneben. Und sie reden wie ein Wasserfall. Über Fußball und Musik. Übers Trampen und die Zukunft.
„Was willst du nach deinem Studium machen?“
„Nun, wahrscheinlich in die Wirtschaft. Viele Firmen halten Physiker für sehr schlau und sind überzeugt, dass sie keine Angst vor komplexen Problemen haben.“
Francois spricht fließend deutsch. Er hat ein Jahr in Berlin gelebt. Ist mit dem Fahrrad in die Mongolei gefahren. Und er trampt.
Ich habe auch den Eindruck, dass er keine Angst vor komplexen Problemen hat.
„Als Anhalter weißt du ja nie, wann du an deinem Ziel ankommst.“ stellt mein Mann fest.
„Das stimmt“ antwortet François „und das ist es, was ich so liebe. Und man lernt tolle Menschen dabei kennen.“
Mich lässt das Gefühl nicht los, dass Trampen nicht nur Autos anhält. Sondern auch die Zeit. Die des Anhalters. Und die des Anhaltenden. Und macht damit beide zu Machern.
Irgendwann, nach ein paar Kaffee, Fahrerwechseln, Staus und gemeinsam verbrachten Stunden trennen sich unsere Wege, nachdem wir Nummern getauscht haben.
In unserem Heimatland stieg ein Fremder zu.
In seinem Heimatland trennen sich Freunde.
#jesuis
#tues
#noussommes
La Vie.
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Nachtrag: Am Abend erreicht uns eine Nachricht von François:
„Hi ! 😋
Ich bin gut heim angekommen !
Es war eine Freude euch kennenzulernen ! Ihr seid die Helden meines Tages !
Vielen Dank ! Es war sehr schön mit euch diese Strecke zu verbringen . Es war sicher eine von meinen besten Trampenerfahrung 😊😊
Es hat mir total gefreut und voll positive Energie gegeben. Es gibt mir voll Vertrauen in der Menschheit und im Leben so liebe Leute wie euch kennenzulernen.
Merci vous êtes super ! 😋
Viel Spaß in meinem wunderschönen Land 🇨🇭😎“