Die Krone der (Er)Schöpfung

Der Wahnwitz unserer Zeit. Wir sind reflektiert und predigen #selbstliebe. Wir machen Yoga und trinken Kurkuma-Shots, verschlingen Bücher über Persönlichkeitsentwicklung, Inspiration und den Sinn des Lebens. Und wir versuchen aus dem Hamsterrad des negativen Stresses rauszukommen, in dem wir noch schneller rennen, angetrieben vom positiven Stress.

Ich schreibe: wir. Ich meine ganz klar auch: ich.

Ich beschäftige mich intensiv mit all´ den bereits genannten Dingen und noch vielem mehr. Übe mich im loslassen, in Großmut, in Toleranz und Verständnis und versuche jedem Menschen unvoreingenommen zu begegnen. Ich verzeihe, lerne und helfe wo ich nur kann. Ganz oft auch unter dem Deckmantel der „Selbstfindung“. Ich bin ein empathischer Mensch.

Nur einem Menschen gegenüber fehlt mir diese Empathie: mir selbst. Das klingt verrückt. Aber genau das kristallisiert sich gerade raus.

In den letzten Monaten habe ich ziemlich viel Energie gegeben. An Projekte, an Menschen, ans Leben. Anfang des Jahres war der Akku voll geladen. Praller Balken, alles im leuchtend grünen Bereich. Und im Vertrauen darauf habe ich die Power raus gehauen als gäbe es kein Morgen mehr. Die Ladezeiten wurde kürzer, immer mal wieder nur schnell zehn Prozent drauf – wird schon reichen. Und die ganze Zeit laufen diverse Apps und die Standortbestimmung im Hintergrund und ziehen Strom.

Für eine Weile geht das gut, aber irgendwann geht davon der Akku kaputt. Er lädt deutlich langsamer, überhitzt. Bis er irgendwann den Geist aufgibt.

Ein bisschen so, wie eine kaputte Luftmatratze, bei der nur noch das Kopfteil intakt ist, während der Rest stetig Luft lässt. Hält dich über Wasser, ist aber alles andere als gemütliches Schaukeln auf Wellen.

Innerhalb weniger Wochen hat sich mein Körper bemerkbar gemacht. Es begann mit Rastlosigkeit bei gleichzeitiger Müdigkeit. Die Augenringe wurden immer dunkler. Der Antrieb weniger. In kürzesten Abständen folgten Gürtelrose (natürlich nicht vollständig auskuriert – nur mal schnell 10 % drauf), schwere Becken- mit anschließender Bauchfellentzündung und Aufenthalt im Krankenhaus (in dem ich natürlich meinen Laptop dabei hatte, um zu arbeiten) und als Folge dessen eine Blasenentzündung.

JEDEM anderen hätte ich gepredigt: dein Körper schreit dich an, das etwas nicht in Ordnung ist! Sei achtsam mit dir. Nimm dir eine Auszeit. Es ist ok, einfach mal nur zu sein und nicht zu machen.
Jedem. Auch mir. Mein Verstand hat mir das immer und immer wieder gesagt. Schließlich hatte ich es in so vielen Büchern gelesen, in so vielen Podcasts gehört und fleißig auswendig gelernt.

Das ist ein wenig so, als würdest du immer wieder den Ernstfall üben. Und wenn er dann eintritt, stehst du reglos da, während dein Kopf stupide das erlernte Wissen wiederholt. Dein Hirn liest den Einkaufszettel vor und du stehst in einem leeren Laden.

„Wenn du deinen Krankheiten ein Bild geben könntest, welches wäre es?“ fragte mich unlängst eine kluge Frau.

„Feuer“ antwortete ich spontan. „Ich sehe Feuer. Und es ist, als würde ich die Flammen immer nur eindämmen, aber nie ganz löschen. Weil ich mich dann schon wieder zu einem fremden Brand begebe, um dort Feuerwehr zu spielen.
Streng genommen bin ich die Feuerwehr. Und in meiner Feuerwache wütet ein Flammeninferno. Und statt mich zunächst um die vollständige Bekämpfung dessen und die Umsetzung von Brandschutzmaßnahmen zu kümmern, fahre ich fröhlich von einem Einsatz zum anderen.“ sprudelt es aus mir heraus.

„Und was passiert?“ antwortet sie ruhig „Zentrale ausgebrannt – keinem wird mehr geholfen.“ Ich schaue sie schweigend an, während sie fortfährt:

„Müdigkeit und Unruhe, Kopfschmerzen und Konzentrationsschwäche sind Alarmzeichen – der Feuermelder wird aktiviert. Wird der ignoriert, folgen Schwelbrände und Funkenflug. Wird das auch außer Acht gelassen, brennst du bis auf die Mauern nieder.
Du scheinst genau zu wissen, was du EIGENTLICH tun müsstest. Dein rationaler Teil ist informiert: Nein sagen, wenn du einfach keine Kraft hast; Schwäche eingestehen; auch mal unproduktiv sein; auf dein Bauchgefühl hören; Scham und Wut aussperren; Loslassen, was nicht für dich bestimmt ist; schlafen; in die Natur gehen; nicht ständig erreichbar sein … u.s.w.
Das Problem ist, dass du es nicht fühlst. Du hast für dich selbst keine Empathie und das macht mich traurig! Du musst Grenzen setzen – für dich! Du musst lernen, all´ die Dinge umzusetzen, von denen du weißt, dass sie dir helfen. Nicht weil du es musst. Sondern weil du es möchtest – für dich“

Das saß. Ich fühlte mich getroffen. Ertappt. Und gleichzeitig befreit, als ob jemand dich beim Schwindeln erwischt hat und du nun die Last der Lüge los bist. Man fühlt sich gleichzeitig mies und erleichtert.

Und ich weiß, mir geht es nicht allein so. So viele Menschen – allein schon in meinem näheren Umfeld – sind absolut reflektiert und wissen um die Macht der Achtsamkeit. Sie wissen, dass sie runterfahren müssen – und das verursacht schon wieder Stress.

Der Punkt ist, wir müssen gar nichts. Außer wirklich wollen.
Wissen ist nicht fühlen. Sorge ist nicht Fürsorge.

Aber Stolpern ist auch nicht Fallen.
Versuchen wir es einfach weiter.
Brandschutz geht uns alle an!