Was ich an Konzerten so liebe (neben der Tatsache, dass ich die Musik direkt von dem Künstler höre, mit all seiner aktuellen Emotionen): die Menschen.
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: vor und nach dem Konzert (auf der Jagd nach dem besten Platz, der Priorisierung in der Toilettenschlange und der Flucht nach Hause) da hasse ich Menschen ein bisschen. Aber während des Konzerts lasse ich meinen Blick schweifen und genieße, was ich sehe.
Da sind die Pärchen, die mit Shirts im Partnerlook beim Liebeslied aufstehen und sich in den Armen liegen. Da ist der emotional nicht tangierte „Ich bin nur als Begleitung hier“ Personenkreis (häufig Väter oder Freunde, die eigentlich zu fresh für Mainstream sind.)
Die Genießer und Beobachter (ich) und diesmal auch:
diese Gruppe von acht bis zehn jungen Mädchen. Schätzungsweise 15 Jahre alt. Wunderschön, jede für sich. Sie standen von Anfang an zwischen zwei Sitzplatztribünen. Hielten sich gegenseitig im Arm, tanzten, lachten und sangen jedes Lied lauthals mit.
In meinem Kopf entstehen Geschichten verknüpft mit eigenen Erinnerungen.
In meiner Geschichte ist dies das erste gemeinsame Konzert der Mädels ohne elterliche Aufsicht. Sie feiern gemeinsam erlebte Momente, die sie mit der Musik des Künstlers verbinden. Alle kleinen Zwistigkeiten sind für den Moment vergessen. Die Handys bleiben in der Tasche. #reallifefirst
In meiner Erinnerung formen sich Bilder. Auch wir waren damals eine eingeschworene Gruppe von mehreren Mädels. Bei uns hieß das noch Clique – ist aber auch schon zwanzig Jahre her. (ZWANZIG!! Räusper). Ich erinnere mich mit einem Lächeln an unsere gemeinsamen Erlebnisse. An unsere Abenteuer. An unsere Dummheiten (!). An unsere Unbeschwertheit.
In meiner Geschichte ist dies vielleicht – ja sogar sehr wahrscheinlich – auch das letzte gemeinsame Konzert. Vor ihnen liegen noch unbeschrittene Pfade und nicht alle werden den gleichen gehen. Schulabbruch, Lehre, Abitur, Studium, Auswandern, Familie und vielleicht auch schwere Schicksalsschläge. Einige Wege werden sich trennen, wie ein Fluss, der sich in feinen, verästelten Läufen in die Landschaft des Lebens frisst.
In meiner Erinnerung ist genau dies geschehen. Man malt sich die Zukunft so oft ganz anders aus, als sie dann wirklich geschieht. Wir hatten ja keine Ahnung, welche Möglichkeiten sich ergeben würden. Wir hatten ja keine Ahnung, welche Prüfungen uns bevorstehen würden. Zu einigen meiner engsten damaligen Freunde habe ich keinen Kontakt mehr. Zu wenigen sporadisch. Zu 1-2 regelmäßig.
In meiner Geschichte werden sich diese Mädels in zwanzig Jahren zurück erinnern an diesen Abend. Wenn sie ein Lied hören, das gespielt wurde. Vielleicht hören sie es dann sogar alle gleichzeitig, weil sie zufällig den gleichen Radiosender eingeschaltet haben. In der Küche, während sie für die Familie das Essen zubereiten. Im Auto auf dem Weg zum nächsten Auftrag. In der Werkstatt, im Café, im Krankenhaus, am Meer. Und auf ihren Gesichtern breitet sich ein schiefes Lächeln aus. Ein heller Moment, weil das Licht des Entsinnens einen Spot auf die Vergangenheit wirft. Verbunden mit der Frage: „Wie es … wohl jetzt geht?“
In meiner Erinnerung gibt es so viele dieser Momente. Ferienlager. Erste Küsse. Erste Zigaretten. Erste Schwipse. Erste Urlaube. Erste Liebe. Erstes Herzbrechen. In meiner Erinnerung war die Schale mit dem Erlebten noch so leer und die mit der Zukunft noch so voll. Und mit jedem Jahr wandert etwas von der Schüssel mit den „Noch nichts“ in die mit den „Nicht mehrs“.
Je älter wir werden, desto mehr erinnern wir uns an Momente, die gewesen sind, anstatt uns auf neue zu freuen. Weil wir denken, dass unsere Möglichkeiten weniger werden.
Vielleicht ist das auch so. Dann sollten wir doch aber dafür sorgen, jeden Moment auch besonders erinnerungswürdig zu machen.
Präsent sein. Das Wort allein sagt es doch schon: Präsent. Da sein. Jemandem ein Präsent zu überreichen ist gleichbedeutend mit: ihm eine Aufmerksamkeit schenken. Beschenken wir uns also selbst. Mit Präsenz.
Denn innerhalb eines Wimpernschlages ist eine Geschichte eine Erinnerung. Und vielleicht ist der Mensch, der jetzt an deiner Seite sitzt, dann schon irgendwo anders abgebogen.
Dieser winzige Moment, wenn das „noch nicht“ zum „nicht mehr“ wird – auf den sollten wir achten. Jetzt und hier.