Heute Morgen kam er mir entgegen. Der Mann, der meine Sicht auf die Dinge für immer verändert hat. Leider weiß ich nicht, wie er aussah, denn er hatte einen Helm auf.
Es war auch nicht seine Optik, die mich mitgerissen hat, es war, was er tat:
Er saß auf einem Roller und winkte mir fröhlich zu. Weil auch ich auf einem Roller (meiner Vespa „Hilda“) saß und uns das irgendwie zu einem Team machte.
Ja, dachte ich, JA! Ich bin Teil der großen Roller-Gang.
Motorradfahrer grüßen sich häufig gegenseitig. Oft nur mit einem lässigen Heben von zwei Fingern. Rollerfahrer hingegen werden missbilligend ignoriert. Motorradfahrer sind cool, Rollerfahrer komisch. Es gibt sogar den Leitspruch: „Motorradfahrer werden begrüßt, Rollerfahrer werden bespuckt.“ (Ich versuche einfach das Bild in meinem Kopf zu ignorieren, wie das aussehen würde. So mit Helm. Und Visier. Aber gut …)
Ja, wir sind ein bisschen seltsam. Wir haben den Motor nicht zwischen unseren Beinen. Wir verschmelzen nicht windschnittig mit unserer Maschine oder sitzen mit weit geöffneten Beinen und Armen darauf. (Je nachdem ob man eine Rennmaschine fährt oder eine Chopper mit zwei Meter breitem Lenker.)
Ich sitze auf meiner Vespa, wie ein gut erzogenes und artiges Schulkind aus den 50-er Jahren. Das geht aber auch gar nicht anders (ich hab es wirklich versucht). Die Sitzbank ist einfach sehr rückenschonend. Ich sehe nicht cool aus, sondern niedlich.
Mit meinem runden, schwarzen Helm ähnele ich einem fahrenden Cola-Lolli. (LOL li, Haha.)
Ja, ich weiß. Na und.
Ich wirke leider auch nicht imposant oder respekteinflössend. Und ich klinge auch nicht so. Kein dumpfes Grollen, wenn ich mich nähere. Kein Brüllen eines Rennmotors.
Wenn ich am Gashahn drehe, hört es sich ein wenig an wie ein unzufriedener Säugling. Je schneller ich werde, desto unzufriedener wird er. Am Anschlag klingt es wie ein wütendes Plärren. Wuäääääääääähhhhhhhhh.
Ja, ich weiß. Na und.
Ich kann auch nicht innerhalb von fünf Sekunden auf hundert beschleunigen und an allen anderen Verkehrsteilnehmern vorbeiziehen. Ich stelle mich ja nicht einmal – wie in den südlichen Ländern üblich – an der roten Ampel vor alle Autos. Weil wir hier in Deutschland sind und mir 85 % der Autofahrer einen 120-minütigen Vortrag halten würden (inklusive 18-seitiger Powerpoint-Präsentation, erhobenem Zeigefinger und Kaffeepause), warum – das – nicht – geht. Angefangen von „Ich war zuerst da“ bis hin zu „Hier halten wir uns immer noch an Regeln und gemäß StVO, § blablabla …“.
Und ich kann dann ja nicht mal schnell flüchten mit meiner 50 ccm-Hilda. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich wuuääähend beschleunigen, während der Schimpfvortrag haltende Autofahrer noch wild gestikulierend neben mir her läuft.
Neben mir, dem Cola-Lolli.
Nein, Danke. Dann stelle ich mich lieber hinten an.
Und doch: ich kann auch aufbrausend sein! Wenn jemand vor mir zu langsam fährt oder mir die Vorfahrt nehmen will, dann wird auch mal gehupt. Klingt halt eher nach einem aggressiven Hamster, als nach einer ernst gemeinten Warnung. Bei einem Miiiiiiieeeeep erschrecken sich die Leute erst und lachen dann.
Als wären sie gerade auf ein Hundespielzeug getreten, das im Weg lag. Sie lachen und nehmen dir dann trotzdem die Vorfahrt.
Rollerfahrer werden einfach nicht ernst genommen. Wir sind ein bisschen wie die Hummeln der Strasse. Brummen gemütlich von Ort zu Ort. Bei uns läuft als Soundtrack nicht Limp Bizkits „Rollin´“, sondern eher Adriano Celentanos „Azurro“
Dafür habe ich, sobald ich auf Hilda sitze, sofort das Gefühl von Urlaub. Wenn ich sie höre, dann denke ich an Italien. Ich stelle mir vor, ich fahre ans Meer oder auf einen Kaffee nach Rom. Ich kann nicht anders, als zu lächeln, wenn wir gemeinsam unterwegs sind und mir der Wind um die Nase weht (im Gegensatz zum Motorrad muss ich nicht aufpassen, dass mir der Kopf vom Nacken fliegt). Und das entschädigt mich für alles.
Das ist mein kleiner alltäglicher Minutenurlaub. Man stelle sich vor: Im Schnitt jeden Tag 30 Minuten. Das ergibt in einer Saison (sagen wir Mai bis September) 4.500 Minuten. Geht man von einem 8-Stunden-Arbeitstag aus, gönne ich mir so etwa 9 Tage Extraurlaub.
Einfach so.
Mit Mieep und Wuähh.
Und ab sofort auch mit wild-fröhlichem Winken zur Begrüßung der Roller-Gang-Mitglieder. Wer macht mit?
(P.S.: Motorradfahrer mag ich trotzdem. Wirklich! <3)