(Seelen)Wolken(s)türme

Den ganzen Tag hatte es sich schon angekündigt. Schwülwarme Luft und majestätische Wolkentürme aus denen ein dumpfes Grollen wie vibrierende Wellen durch die Atmosphäre wabert. Es kroch mir unter die Haut und verursachte wohlige Schauer.

Einer er heißesten Tage eines Mais. (Haha, ein Wunder, dass wir nicht alle wie Popcorn in eine weiße Knusperwolke aufploppen. Ich schweife ab.)
Dieser Mai ist einer der heißesten der letzten Jahre (klingt besser) und der gestrige Tag der bisherige Höhepunkt. Und doch: es wollte sich einfach nicht entladen. Fast schon wehmütig kroch ich abends in mein Bett und schlummerte über einem Buch ein. Es war nach 22 Uhr, als mich ein Donnerschlag weckte. Als sei er direkt durch das geöffnete Fenster in mein Wohnzimmer geflüchtet.

Mit klopfendem Herzen lag ich in der Dunkelheit. Die Augen geöffnet, ein Lächeln im Gesicht.

Ich bin absolut verliebt in nächtliche Sommergewitter.

Nachdem ich aus meiner warmen Koje geschlüpft und auf nackten Sohlen in der Dunkelheit zum Fenster getappt war, setzte ich mich auf meiner Fensterbank und beobachtete die übermächtige Kunst der Natur. Blitze erhellten im Sekundentakt den Nachthimmel. Warmer Wind streichelte meine Haut. Der strömende Regenvorhang umhüllte alle Stadtklänge wie ein Mantel und ich fühlte mich so … beschützt.

Mir kam Bob Dylans „Shelter from the storm“ in den Sinn. Nur dass ich keinen „Schutz vor dem Sturm“ brauchte, sondern mich vom Sturm selbst beschützt fühlte.

„Suddenly I turned around and she was standin‘ there.
With silver bracelets on her wrists and flowers in her hair.
She walked up to me so gracefully and took my crown of thorns.
Come in, she said,
I’ll give ya shelter from the storm.

 

Now there’s a wall between us, somethin‘ there’s been lost.
I took too much for granted, I got my signals crossed.
Just to think that it all began on an uneventful morn.
Come in, she said,
I’ll give ya shelter from the storm

Well, I’m livin‘ in a foreign country but I’m bound to cross the line.
Beauty walks a razor’s edge, someday I’ll make it mine.
If I could only turn back the clock to when God and her were born.
Come in, she said,
I’ll give ya shelter from the storm.“

(Bob Dylan: „Shelter from the storm“)

Vielleicht fühle ich mich so beschützt, weil ich Stürme gewöhnt bin. Vielleicht auch, weil es mir so kraftvoll aufzeigt, dass es Dinge gibt, die wir nicht unter Kontrolle haben. Das lässt uns klein fühlen, aber gleichzeitig nimmt es uns auch oft die Last der Verantwortung von den Schultern. Verantwortung, die wir für uns selbst, aber vor allem für andere Menschen empfinden.

So wie ich im letzten Blog darüber geschrieben habe, dass viele Menschen entweder kein Interesse, keine Kraft oder keinen Mut haben, hinter Fassaden und Mauern zu schauen, genauso gibt es Menschen, die sich für andere verantwortlich fühlen. Oft mehr als das. Oft über ihre Grenzen.

Die nicht wegschauen, wenn es jemandem schlecht geht. Die sich selbst zurückstellen, um einen anderen anschieben zu können. Nur um sich im nächsten Moment eine Rüstung über zu ziehen und sich schützend vor denjenigen zu werfen. Einfach, weil derjenige keine Kraft mehr hat. Vielleicht nicht mal mehr Kraft, um um Hilfe zu bitten. Menschen, die anderen eine Zuflucht vor dem Sturm geben, in dem diese sich gerade befinden. Mütter und Väter für ihre Kinder. Viele gesunde Menschen für einen Kranken. Freunde für Freunde. Fremde für Fremde.

Mir wurde dieses Glück schon zuteil und daraus habe ich gelernt, auch selbst für andere einzustehen.

Was ich aber auch gelernt habe: du kannst anderen nur helfen, wenn du selbst genug Energie und einen sicheren Stand hast. Du kannst niemanden vor dem Ertrinken retten, wenn du selbst nicht schwimmst oder dich an etwas festhalten kannst, dass dich über Wasser hält. Du kannst kein Feuer löschen, in dem du selbst in Flammen aufgehst.
Helfen ist wichtig, aber man muss aufpassen, dass man nicht selbst in den Sog gerät.

Was ich gelernt habe: (Zeitweiser) Rückzug ist nicht egoistisch. Er ist elementar. Er lädt deine Akkus.

Gewähre dem im Sturm Stehenden Einlass, aber lass nicht das ganze Unwetter mit hinein – denn dann seid ihr beide ungeschützt. Der Schlüssel ist: liebevoll Abstand zu halten, wo es möglich ist. Denn Abstand bedeutet auch: Raum geben. Sich, und dem anderen. Es bedeutet, Kontakt zu halten, ohne sich selbst dabei zu verlieren. Ratschläge zu geben, aber keine Urteile zu fällen.

Feinfühlige Menschen bemerken Stürme, wenn sie sich ankündigen. Auch hier: seelische Wolkentürme aus denen ein dumpfes Grollen wie vibrierende Wellen durch die Atmosphäre wabert. Unter die Haut kriechend.

Dann heißt es: tief durchatmen.
Fenster auf.
Warten auf den Lebenssturm, über den wir so oft keine Kontrolle haben.
Ruhe bewahren.
Lächelnd vertrauen, dass auch dieser vorüber zieht.
Des Schwächeren Gesicht, das von Tränen überzogen ist wie Fensterscheiben von Regentropfen, in beide Händen nehmen und flüstern:

„Come in. I’ll give ya shelter from the storm.“