Insta(nt)begegnungen

Sonntagmorgen, 8 Uhr. Ich erwache ohne Zutun des Weckers. Das Sonnenlicht fällt durch die fast wandhohen Fenster in meine Wohnung. Es bricht sich in den kleinen Kristallen, die zur Dekoration an der mittleren Scheibe hängen und im Stiel des Sektglases, in das ich gestern den weißen Flieder gestellt habe. In Wasser natürlich – nicht in Wohlstandsbrause.

Ich gebe zu, er ist gemopst. Aber ich persönlich finde, so ein kleines Verbrechen relativiert sich, wenn man von seiner Mutter dazu angestiftet wird.
Auch bei ihr steht eine kleine Vase mit weißem Flieder und wartet darauf blühen zu dürfen. Eine weitere haptische Sache, die uns verbindet – wie ein Armband mit einem Lebensbaum und ein gemeinsames Tattoo. Ihr habt es selbst schon bemerkt: Meine Mutti ist ziemlich cool. (Gerade kommt eine SMS von ihr, in der sie mir mitteilt, dass sie ihre Balkonpflanzen gesetzt hat: „Gepflanzt, gepfrühstückt, telelepfoniert und jetzt: pfaulenzen.“ Ich sag´s ja: sie pfetzt.)

 

Sonntagmorgen. Noch ist alles so ruhig. Die einzigen Geräusche sind die zwitschernden Vögel und der leise brummende Kühlschrank. Ich genieße diese Ruhe so sehr. Auf meiner Couch sitzend betrachte ich das Glas mit dem Fliedersprössling darin – und denke darüber nach, wie endlich seine Zeit ist. Wie endlich ich sie erst gemacht habe, um mir einen Hauch seiner Schönheit nach Hause zu holen.

Endlichkeit. Unendlichkeit. Zeit. 
Bereits Aristoteles hat sich mit ihrer Dauer und ihrer unendlichen Teilbarkeit beschäftigt. Mit ihren Momenten und wie klein sie werden können. Der unendlich kleinste Augenblick hat auch einen Namen: ein Instant. Bis heute beschäftigen sich Wissenschaftler damit, was die kleinste messbare Zeiteinheit ist.

Das ist hochinteressant, nur: Physik und ich – sagen wir so: wir tolerieren uns gegenseitig, das war es aber auch schon.

Bei Instant denke ich automatisch an zwei Dinge: Tütensuppen und Instagram.
Der gemeinsame Grundgedanke ist: es muss schnell gehen. Zumindest für den Endverbraucher. Denn bevor ein „Produkt“ entsteht, das sich schnell konsumieren lässt, muss es unzählige Verarbeitungstechniken durchlaufen. Vakuumbehandlung, Gefriertrocknung, Filter. Beides: Suppen, als auch Bilder hat man manchmal das Gefühl. Ein Grund, warum viele diese Netzwerke wie Instagram als „unecht“ ablehnen. Regelrecht mahnen, im „echten“ Leben zu bleiben.

Teilweise kann ich dem beipflichten, aber nicht uneingeschränkt. Ich bin ohnehin kein Fan von schwarz-weiß, gut-böse. Ich bin die, die fasziniert beobachtet, in wie viele Farbspektren ein Lichtstrahl zerfallen kann, wenn er durch besagten Kristall im Fenster gebrochen wird.

Mein Gedanken ist: es muss sich die Waage halten. Sicher gibt es viel „Fake“ im Insta-Universum – aber das gibt es im „echten“ Leben wahrlich auch zu Genüge. Ein falsches Lächeln und krude Absichten brauchen nicht zwingend einen Instagram-Account.

Aber ich habe auch viele Menschen über eben diese „unechten“ Netzwerke kennen gelernt, die meinen Alltag bereichern, meine Sichtweisen verändert haben. Menschen, denen ich sehr wahrscheinlich sonst nicht begegnet wäre – oder sie vielleicht nicht wahrgenommen hätte. Die wenigsten laufen ja mit einem Bauchladen voll mit Bruchstücken und Ausschnitten ihres Daseins rum und preisen diese wie ein Marktschreier an.

Menschen, die mich inspirieren. Menschen, die mich spiegeln. Menschen, die mich faszinieren, provozieren, informieren und korrigieren. Und amüsieren: ich hatte auch schon eine sehr gepflegte und niveauvolle Konversation mit einem Amerikaner über – Achtung – Füße. Ja, geht auch!

Der vermeintliche „Schutz“, den wir empfinden, eben weil es keine direkte Konfrontation mit dem Gegenüber ist, macht uns gleichzeitig offener in unseren Gedanken und Gefühlen. Selbst wenn es nicht alle sind – natürlich nicht alle! – die wir von uns preisgeben.

Das macht den Reiz von Instagram aus: der Augenblick, die unmittelbare Begegnung mit der Persönlichkeit eines Menschen oder der, die er gern hätte. Und mit Glück lernt man ihn im „richtigen“ Leben auch noch einmal „richtig“ kennen – mit all den Facetten und Seelenbruchstücken, die er vielleicht nicht mit jedem Zuschauer teilt. Sondern nur mit „echten“ Menschen in einer „echten“ Umarmung.

Und genau das ist für mich persönlich ganz wichtig bei allem: das greifbare Leben nicht aus den Augen zu verlieren. Feste Umarmungen. Intime Gespräche über Schmerzen, Ängste und Träume. Vor allem über Träume. Gemeinsam zu schweigen. Im Park zu grillen und Katzen auf Fensterbrettern zu beobachten. Konzerte. Krankenhausbesuche. Eis am Fluss. Schnaps auf dem Balkon. Salzige Tränen weg küssen und schallendes Lachen spiegeln. Reisen. Streiten und versöhnen. Bewegung. Süßen Duft des Lebens einatmen. Verschämtes Herzklopfen spüren wenn sich Hände berühren.

All das. Mit allen die mir nah sind und allen, die es vielleicht noch werden. In einem Bruchteil einer Sekunde … in einem Instant.

Ich für meinen Teil freu´ mich drauf.

 

 

3 Gedanken zu “Insta(nt)begegnungen

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