Neulich Nacht bin ich aufgewacht. Wie so oft in letzter Zeit.
Draußen fiel der Regen rauschend in die Dunkelheit. Dieser Geräuschvorhang aus strömender Nässe, der nur hin und wieder ein paar Deserteure auf Fensterbrettern Melodien spielen lässt.
Ich liege da, mit geschlossenen Augen. Weil es keinen Unterschied macht, ob ich sie öffne – in der finstersten Stunde der Nacht. Das Schöne an absoluter Finsternis ist, das nichts Schatten werfen kann.
Ich nicht. Du nicht. Die Vergangenheit nicht und auch nicht die Zukunft.
Ein beruhigender Gedanke.
Ich lausche der Musik, die das herabfallende Wasser spielt und lächle.
Ich fühle mich geborgen. Strömender Regen. Strömendes Leben. Es fließt unablässig, unwiederbringlich, lässt sich nicht stoppen. Solang es lebt, sucht es sich Wege. Selbst im Tod lebt es fort.
Welch´ Narren wir doch manchmal sind, zu glauben, dass wir irgendetwas kontrollieren könnten. Kontrolle ist ein Boot, das sich gegen den Strom stellt. Wir sitzen darin, vermeintlich Kapitän unseres Lebens, und rudern was die Arme hergeben. Und bewegen uns doch kaum. Denn im Grunde ist stromaufwärts doch stromrückwärts.
Die Karierreleiter, die hinauf in den Keller führt.
Und dennoch, verblendete ängstliche Wesen die wir sind, haben wir mehr Angst, uns treiben zu lassen. Obwohl uns das viel weniger Kraft kosten würde.
Wir zerdenken, wir zergrübeln, wir zerstören jedes mitreißende Gefühl, indem wir schon den tödlichen Wasserfall vor uns sehen. Herabstürzende Kaskaden aus Verletzung und Verzweiflung, die unsere Sicherheit in ihren Massen verschwinden, unser Boot an den Felsen der Ernüchterung zerschellen lassen.
Viel zu viel Bewusstsein, das uns nicht bewusst ist. Viel zu viel Verstand, den wir nicht verstehen. Wir zerbrechen uns die Köpfe über zerbrochene Herzen und suchen die Lösung im Kopf. Als wäre er unser Medizinschrank. Wie abstrus.
Niemand kommt auf die Idee eine gebrochene Hand zur kurieren, indem man den Fuß verbindet. Jede andere Verletzung wird lokal behandelt.
Doch das Herz lassen wir bluten.
Und dann lassen wir uns von gelernten Erfahrungen leiten und merken nicht, dass wir damit auf einem ungestimmten Klavier spielen. Wie auch, wenn wir Ohren und Augen verschließen.
Dabei ist jeder von uns größer, als das Schlimmste was er getan und erlebt hat.
Wie schön wäre es, den Schmutz des Vergangenen abzustreifen. Nicht die Vergangenheit selbst, nur den rußigen Staub, den sie hinterlassen hat. Könnten wir uns doch nur häuten wie Schlangen, wenn sie wachsen. Könnten wir uns doch hingeben, in die Fluten eines anderen Menschen stürzen. Stattdessen ziehen wir die Zehen erschrocken zurück, sobald sie das kühle Nass berührt haben. Wir erschauern, frösteln.
Ich erinnere mich an die unbedarften Momente meiner Kindheit. Wir brauchten keine Hitze für einen gewagten Sprung ins Nass. Sommer war Sommer war Sommer.
Und Sommer hieß baden, bis die Lippen blau waren und wir zitterten. Dieses glückselige Einatmen von Leben. Dieser vor Fröhlichkeit glucksende Ruf aus dem Wasser, an alle am Rand Zögernden:
„Spring! Wenn du einmal drin bist, ist es ganz warm!“
Wann verstummen diese Rufe im Laufe unseres Lebens? Wann wird unsere Angst zu groß? Wann verlieren wir diese Unbeschwertheit?
Ich weiß es. Natürlich weiß ich es. Wie die allermeisten von uns. Und doch will ich nicht aufhören, mir diese Fragen zu stellen.
Denn es heißt ja, wenn man sich verliebt, dann weil wir im anderen Dinge gefunden haben, die wir in uns selbst suchen. Und so ist jedes kleine und große Verliebtsein doch ein Stück zurück zu uns selbst.
Also stelle ich mir diese Fragen. Wieder und wieder. Bis all die schreienden Zweifel so leise geworden sind, dass ich mein Herz wieder höre, wenn es mir zuflüstert:
„Spring! Wenn du erst mal drin bist …!“
Und dann lass ich mich treiben.
Weg vom Ufer, an dem die Ungewissheit in Büschen wächst. Lasse mich mit Übermut und übersprudelndem Leichtsinn stromabwärts gleiten. Und vielleicht münde ich irgendwann in einem Meer aus Glückseligkeit und Liebesmut.
Aus dem monotonen Rauschen des Regens ist ein stilles Nieseln geworden, das langsam in Schnee übergeht. Schnee im nahenden Frühling.
Noch ist es nicht Zeit zum Baden … aber bald.
Bald.
Die Augen noch immer geschlossen, dämmere ich zurück in den Schlaf.
Und nehm´ mein Lächeln mit.
Gefällt mir .Auch wenn der Inhalt an manchen Stellen vor Wahrheit schmerzt.Der Verstand,falsch gebraucht,wird schnell zum Verräter am eigenen Leben.
Lg Robert
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Dabei „meint er es nur gut“. Wie überfürsorgliche Eltern. Aber zuviel Schutz nimmt uns die Selbstständigkeit…
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Zuviel Schutz bringt auch zuviel Ängste,die uns letztendlich am Leben hindern.Da ist ein Fehler im System Innen und ein Fehler im System Außen.
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Alle Entscheidungen die wir mit dem Herzen treffen sind die Richtigen.
Der Verstand soll uns nur bei der Ausführung helfen.
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Genieße mäßig Füll und Segen,
Vernunft sei überall zugegen,
Wo Leben sich des Lebens freut.
Dann ist Vergangenheit beständig,
Das Künftige voraus lebendig,
Der Augenblick ist Ewigkeit.
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✨👌🏻
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Thoughts during the hour of the wolf? The hour when the sleepless are haunted by their deepest fears, when your ghosts and demons are most powerful. How does life look the next morning, after a shower, after a croissant with fresh coffee?
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