Fokus

Es gibt so Tage…

Ich hatte den Text, der jetzt gleich kommt, gestern Abend schon fertig gestellt.

Normalerweise schreibe ich direkt im Blog, aber mangels Internet in der neuen Wohnung musste Open Office herhalten. Ich war beim Abspeichern einen Moment lang unaufmerksam – zack WEG! Einfach weg.

Ich habe mich dann grummelnd in mein Bett verzogen und den Tag vor meinen geschlossenen Augenlidern gelassen. Fun Fact: es ging um Aufmerksamkeit.

Was war passiert?

Fangen wir so an: ich bin eine kleine Chaotin mit Struktur. In meinem Kopf sieht es ein bisschen aus wie in einer Schüssel Bananensalat. So richtig abgrenzbar ist da nichts mehr, aber es ist irgendwie süß. Und wenn man das Rezept kennt – so wie ich – dann findet man sich recht gut zurecht und weiß, was drin ist. Bananen vor allem.

An manchen Tagen kommt mir das jedoch nicht zugute. Gestern war so ein Tag. Zur Mittagszeit wollte ich dem natürlichen Greifreflex folgend mein Portemonnaie aus der Tasche holen. Der Griff ging ins Leere. Zumindest in Sachen Geldbörse, denn so richtig leer ist eine Frauenhandtasche ja nie. Wir könnten tatsächlich sogar damit spontan das Land verlassen und hätten alles dabei. Und falls doch etwas fehlen würde, könnten wir es aus den Dingen herstellen, die da sonst noch drin rumkullern. (Wieso muss ich jetzt an Rumkugeln denken? Mmh, ich schweife ab.)

Nun, dieses Mal würde der Trip an der Grenze oder spätestens an der nächsten Tanke enden. Kein Portemonnaie, keine Geldkarte, kein Führerschein, kein Ausweis – null komma nichts.

Da ich mich und meinen Bananensalatkopf kenne, hab ich mir nicht weiter Sorgen gemacht. Das Portemonnaie (Ich weigere mich übrigens Portmonee zu schreiben. Wie sieht denn das aus? Mal ernsthaft. Nein! Um die Diskussion mit der Rechtschreibung zu umgehen, nenne ich es ab sofort PoMo. Aber ich lass mich grad schon wieder ablenken. Zurück zum Kontext), also PoMo wird einfach blau gemacht haben und in der Jogger mit einer heißen Schoki auf der Couch liegen. Kann ich verstehen, würde ich auch gern, gönne ich ihm.

Also habe ich meine restlichen Münzen (1,60 €) zusammen gekratzt und mir in der Kantine einen entsprechend großen Salat geholt. An der Kasse werde ich empfangen mit: „Was´n das? Salat? Am Gyrostag?“

Ja! Total freiwillig. Ich mag keinen Gyros und NATÜRLICH reicht mir der kleine Salat zum Satt werden.

Ich verbrachte den restlichen Tag damit, die Dinge zu heroisieren, die ich mir jetzt mit Geld hätte kaufen können, wenn ich es denn dabei gehabt hätte. So ´n heißer Mokka aus dem Kaffeeautomat – himmlisch. Wie man das eben mit Sachen macht, die gerade nicht verfügbar sind. Plötzlich sind sie must haves.

Zu Hause angekommen schließe ich die Haustür mit der Vorfreude auf PoMo auf. Ich will ihm alles von meinem Tag erzählen und danach gehen wir noch eine schöne Runde shoppen. Das wird super! (Merkt man, dass ich allein lebe?!)

Ihr könnt euch meine Enttäuschung vorstellen, als die Wohnung ebenso PoMo-los war, wie meine Tasche am Vormittag.

Nicht auf dem Tisch, nicht unter der Couch, nicht im Kühlschrank (ja, auch da habe ich schon Sachen von mir gefunden!) – PoMo war weg.

Langsam aber sicher wurde der Puls etwas schneller.

Als auch die Suche im Auto erfolglos war, gab es nur noch eine letzte Hoffnung: den Dienstwagen vom Vortag. Auf dem Weg zum Büro haben ich in Gedanken schon die Geldkarten gesperrt und den Wochenendtrip nach München abgesagt, um stattdessen beim Einwohnermeldeamt zu sitzen. Und natürlich geht das Gedankenkarussell los: Wo war ich überall? Wann habe ich PoMo zuletzt in der Hand gehabt?

Und dann fällt einem richtig auf, wie viel einem nicht mehr auffällt. Wir hetzen durch den Tag, machen achtundtrölfzig Dinge gleichzeitig, lassen uns viel zu schnell ablenken. Und doch ist nichts spannend genug, um unsere Aufmerksamkeitsspanne aufrecht zu erhalten.

Einer Microsoft-Studie zufolge liegt die Dauer unserer Konzentrationsfähigkeit mittlerweile bei acht Sekunden. Ein Goldfisch schafft es neun! Kein Witz!

Das tragische ist, dass diese Leistung kontinuierlich sinkt – im Jahr 2000 waren wir noch um 33 % aufmerksamer. Kannst du die Telefonnummer deiner besten Freundin oder deines Partners noch auswendig?

Früher konnte ich die im Schlaf aufsagen, heute hab ich so viel im Kopf, dass ich nur noch schlecht schlafe.

(Wenn du den Text bis hierhin gelesen hast, hast du schon mal ganz schön Durchhaltevermögen bewiesen! Respekt. Danke!)

Einst brüsteten wir uns damit, Multitasking zu beherrschen, mittlerweile drängt sich mir das Gefühl auf, dass es uns beherrscht. Der Fernseher läuft, der Laptop steht auf dem Schoss und das Handy haben wir in der Hand. Statt unserem Gegenüber in die Augen zu schauen, schauen wir aufs Display. Wir haben 48 Tabs gleichzeitig im Kopf offen und unser privates, kleines Las Vegas im Kopf hört nicht mehr auf zu blinken – beachte mich; NEIN, beachte MICH! Einzig das Herz zieht sich zurück und flüstert: Mensch, hetz mich doch nicht so!

Bis es irgendwann zum Systemabsturz kommt, alle Lichter ausgehen und alle Tabs gelöscht werden. Unser Innerstes springt in abertausend kleine „Ich bin wichtig“ Scherben – Klirr!

Und dann herrscht Ruhe – wie in Fantasien nach dem Nichts.

Wie viele Tabs hast du wirklich gebraucht? Wie viel Licht war wirklich notwendig? Reicht nicht manchmal auch nur eine Kerze zum Glück?

Auf Systemabsturz hab ich jedenfalls keine Lust. Lieber klettere ich von selbst wieder ein paar Stufen hinab. Für mehr Aufmerksamkeit, für mehr Jetzt und Hier. Achtsam sein heißt auch, den Moment zu achten. Den Augen, die dich in dem Moment anschauen, den Blick zurück zu schenken. In eine Umarmung zu fallen und auch genau diese nur zu spüren. Das Stück Schokolade im Mund zu genießen, ohne gleich zum nächsten zu greifen.

Ich habe PoMo gefunden. Es lag tatsächlich auf dem Rücksitz des Dienstwagens, verborgen unter einer Tüte. Es schaute mich an, als wäre nichts gewesen – vielleicht mit einem leicht herausforderndem Blick: „Na? Lektion gelernt?“

Ich hoffe es.

 

Ein Gedanke zu “Fokus

  1. someone sagt:

    Damit hast du absolut recht und ich versuche momentan mich zu bessern, allerdings wird dieser Vorsatz spätestens dann über den Haufen geworfen, wenn ich mich mit jemandem unterhalte und einen Snap von einem meiner Freunde erhalte… wir sind es alle gar nicht mehr gewöhnt, unsere Aufmerksamkeit mehr als ein paar Minuten der selben Sache zu schenken. Schließlich gibt es so viel andere Dinge, die man gerade noch tun könnte (muss)

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