Es spukt Gefühle

Mein Herz ist eine Geisterstadt

Das neigen wir zu denken, wenn eine Liebe zerbrochen, eine Beziehung zu Ende gegangen ist. Als würde unsere ganze Herzstadt nur aus romantischer Liebe bestehen.

Als gäbe es da nicht so viel mehr.

Ich nehme mich da nicht aus. Immer wieder ertappe ich mich dabei, dass mein Herz sich leer anfühlt wie eben jene verlassene Stadt, durch die nur hin und wieder ein Steppenläufer rollt.

Dabei ist es „nur“ ein Haus, was nun nicht mehr bewohnt ist. Unter Umständen – zugegeben – vielleicht das größte. Je nachdem, wie viel Raum man der Partnerschaft zugeteilt hat. Aber nicht das älteste und schon gar nicht das einzige.

Zu Anbeginn meiner Zeit, als der Herzboden noch Ackerland war, siedelten sich nach und nach ganz andere Bauherren an.
Die Liebe, die mir meine Eltern und Familie schenkten.
Die Bindung zu meinem Bruder.
Erste Freundschaften.
Leidenschaften, Talente.
Die kleine Maus, die mein Bruder aus dem Zooladen frei gekauft und ins Kinderzimmer geschmuggelt hatte.
Warmer Schokopudding mit Zwieback.
Neue Stifte am Ende der Sommerferien, kurz bevor die Schule wieder los ging.
Eine selbst gebaute Höhle aus Decken im Wohnzimmer.
Der gefüllte Stiefel am Nikolausmorgen.
Achterbahnen.
Endlich auch eine Zahnspange zu bekommen.
Und sie endlich wieder los zu werden.
Der erste Kuss.
Der erste Urlaub nur mit Freunden.
Die bestandene Führerscheinprüfung.
Jede einzelne Umarmung, die mehr als eine Begrüßung oder ein Abschied war.
Morgens aufzuwachen und keine Schmerzen zu spüren.
Nach Hause kommen …

Unser Herz ist keine Geisterstadt. Sie ist belebt und voller Trubel. Geschäftig und immer im Wachstum. Manche Häuser sind Museen, manche Gebäude sind Schulen. Wir müssen nur den Mut haben, es zu sehen. Raus aus dem scheinbar unbewohnten Haus, die Tür aufreißen und sich die warmen Sonnenstrahlen aufs Gesicht prasseln lassen. Und manchmal auch den Regen.

Unser Herz ist keine Geisterstadt. Sie ist lebendiger Teil eines ganzen Landes. Durch Autobahnen und holprige Landstraßen verbunden mit dem Bauchgefühl im warmen Süden und dem Verstand im kühlen Norden. Sie alle, Teil einer ganzen Welt. Teil von dir.

Das größte Haus in deiner Stadt, die wahrlich niemals schläft, sollte der Liebe zu dieser Welt gehören. Mit all´ ihren kleinen Schlaglöchern und Bauruinen. Mit all´ ihren tiefen Brunnen, in denen die Klarheit quellt und all´ ihren paradiesischen Gärten.

Das größte Haus in deiner Stadt, die wahrlich niemals schläft, sollte die Liebe zu dir selbst beherbergen und mit Dankbarkeit tapeziert sein. Denn Grund, dankbar und glücklich zu sein, haben wir zuhauf!

Für mich: morgens aufzuwachen, in einer warmen Wohnung , aus deren Wasserhähnen tatsächlich heißes Wasser fließt. Freie Entscheidungen treffen und sie auch umsetzen zu können. Inne zu halten und die kleine dicke Meise auf dem Baum vorm Fenster zu beobachten. Hunger haben zu können – aber nicht zu müssen. Das Lächeln eines fremden Menschen. Und noch besser: das Lächeln eines geliebten Menschen. Deckenlampen, die ich selbst angebracht habe – und die tatsächlich leuchten. Reaktionen von Menschen auf meine geschriebenen Gedanken – und die Erkenntnis, dass ich damit auch helfen kann. Kleine unerwartete Gesten. Sich mit Menschen so wohl zu fühlen, wie mit sich selbst. SMS von meiner Mama. Vorfreude auf all die Noten, aus denen die Zukunftsmusik besteht.

Machen wir aus dem „Geisterhaus“ eine warme Bleibe. Damit der nächste Besuch, der an unser Herz klopft, uns keine Angst macht wie eine spukende Erscheinung. Und wenn er dann bleiben mag – eine kleine Weile oder ein kleines bisschen für immer, dann ist das ein Geschenk.

Ich weiß, wenn wir aufwachen, wollen wir immer NEBEN jemandem aufwachen.
Wenn wir nach Hause kommen, wollen wir immer ZU jemandem nach Hause kommen.

Warum nicht zu uns selbst? Dann ist immer jemand da.

9 Gedanken zu “Es spukt Gefühle

  1. Simone Hartung sagt:

    Es ist so gut von dir zu lesen. Mein Herz macht Freudensprünge als die Mail kam, das du gebloggt hast. Irgendwie sind wir doch nie allein, jemand ist auch immer in Gedanken bei uns. Ja und es ist auch schön , mal mit sich allein zu sein, man kann es lernen und dann auch geniessen. Und irgendwann ist da auch wieder jemand, der den Weg gemeinsam mit einem geht. Alles liebe für dich und für alle da draussen.

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  2. dornenlicht sagt:

    Manchmal tut es ganz gut eine Geisterstadt zu sein.
    Nein, das ist nicht wahr.
    Es tut weh.
    Aber irgendwas daran ist auch gut.
    Ich weiß nur nicht was.
    Aber das ist etwas.

    Würde ich das abstellen wollen wenn ich könnte?
    In dem Moment vielleicht.
    Aber für immer und endgültig?

    Schmerz ist doch auch ein Beweis für die Abwesenheit der Liebe.
    Jetzt ertrinke ich gleich in meinen Worten.
    Ich würde nicht wollen dass man da kommen kann und gehen
    und alles bleibt sich gleich.
    Der neue Mieter ist nicht fern.

    Nein, das will ich nicht.
    Auch wenn es manchmal leichter wäre.
    Aber vielleicht muss die Liebe einen Schatten werfen?

    Ist es nicht immer dann wahr, wenn es weh tut?
    Immerhin schenke ich mein Herz.
    Nur metaphorisch aber irgendwie auch wirklich.
    Dieses Gefühl mit dem ich nur einen einzigen Menschen bedenken will.
    Das ist schon ne große Sache.

    Ja zum Schmerz.
    Aber aufgeben darf man sich darin nicht.

    Zumindest ist es das, was ich gerade glaube.

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    1. Stattstadtmädchen sagt:

      Ja zum Schmerz! Nein zum Kommen und Gehen! Da gebe ich dir absolut recht. Und gleich bleibt es ja doch nie, auch wenn es dein Zuhause ist. Was ich sagen will ist: öffne die Augen dafür, dass da noch mehr ist, als „nur“ diese eine Liebe. Denn machst du das, dann ist alles dunkel, wenn sie geht – und das wäre schade um dich. Trotzdem: voller Leidenschaft und mit allem was du hast: Liebe!

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