Von Zapfsäulen

An den profansten Plätzen können wundervolle Dinge passieren

Tankstellen zum Beispiel. Da sind mir schon ganz wundervolle Dinge passiert.

So auch heute. Ich wollte eigentlich zuerst den Samstagstext niederschreiben, aber die Sonntagsgeschichte hat mich nachdenklicher gemacht.

Ich war heute zu Besuch bei Franzi – einer weiteren. Nicht der in der Sahara, eine in Bad Tennstedt. Es gibt viele Franzis müsst ihr wissen, und wir sind praktisch überall.
Wir haben Kaffee getrunken und Kuchen vom Werkstattscafé der Goldhelm Schokoladenmanufaktur gegessen (Birne-Cidre und Walnuss-Käse). Was man eben so für lebenswichtige Dinge macht, zum Sonntag.

Auf dem Rückweg musste ich tanken. Die Tankstellen im näheren Umfeld sind sonntags nicht mit Personal besetzt und erst seit kurzem mit Automaten ausgestattet. Ich will gerade wieder – frisch betankt – fahren, als neben mir ein alter VW Golf hält. Rostig schon an einigen Stellen. Aus ihm steigt ein älterer, nein, alter Mann. Schätzungsweise der 80 schon näher als der 75. Auf dem Beifahrersitz vermutlich seine Frau. Sie sieht müde aus und hält ihre Krücken an den grauen Griffen fest.

Er steckt den Zapfhahn in die Tanköffnung und schaut zu mir, als er bemerkt, dass sich nichts tut. „Ist wohl zu heut´?“ fragt er. „Ja,“ antworte ich „aber Sie können mit der Karte zahlen!“ Er schlägt die Augen nieder. „Die hab ich nicht dabei.“ sagt er leise und steckt den Zapfhahn zurück in die Halterung.

„Naja, dann nehmen wir meine!“ antworte ich spontan. „Ich kümmere mich um den Automaten, Sie tanken und geben mir das Geld dann bar.“ Er überlegt kurz, wägt seine Alternativen ab. „Gut!“ erwidert er entschlossen, „Das machen wir so!“.

Also stecke ich meine Karte zum zweiten Mal ein, tippe meine Geheimnummer ein und der alte Mann ruft mir die Nummer seiner Zapfsäule zu. „Los geht´s!“ rufe ich zurück.

Er tankt für 50 € und kommt danach langsamen Schrittes zu mir. Schlagartig wird mir klar, wie sehr die beiden vermutlich auf ihr Vehikel angewiesen sind. Seine großen, rauen Hände öffnen das abgegriffene Lederportemonnaie. Man sieht ihnen an, dass sie in diesem Leben viel und hart gearbeitet haben. Mit zitternden Fingern sucht er zwei 20 € und zwei 5 € Scheine heraus. „Den 50-er kann ich Ihnen nicht geben. Ich muss noch zu einem Geburtstag.“ Ich muss über seine Logik schmunzeln. Unwillkürlich kommen mir Bilder einer geschmückten Tafel in den Sinn und ich stelle mir vor, wie er seinem Urenkel den 50 €-Schein in  die Hand drückt und murmelt: „Hier mein Junge!“.

„Danke, dass Sie so hilfsbereit waren!“ reißt er mich aus meinen Gedanken. „Wissen Sie, auch wenn ich eine Karte dabei gehabt hätte, wäre ich mit dem Automaten nicht zurecht gekommen.“

„Dann ist ja gut, dass wir beide uns hier getroffen haben.“ lächle ich ihn breit an und wünsche ihm einen schönen Geburtstag.

Diese  Hände haben in der Vergangenheit zu unserer Gegenwart beigetragen. Das mindeste, was ich tun kann, ist, ihm meine Hand zu reichen und ein Stück der Zukunft zu zeigen.

Auch ich werde – hoffentlich – irgendwann einmal alt sein und hoffe, dass die dann jungen Menschen begreifen, dass wir nur zusammen eine harmonische Einheit ergeben. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dass sie begreifen, dass eins auf dem anderen aufbaut.

Ich hoffe, sie sind anders, als die Jugendlichen heute Nacht, die gegen die Scheibe des „Theatrum Mundi“ auf der Brücke getreten haben, weil ihnen „die Perfomance zu low“ war. Ich hoffe, sie konzentrieren sich darauf, dazu beizutragen, dieses Leben zu einem gelungenen Theaterstück zu machen. Egal, ob sie hinter den Kulissen, auf der Bühne oder im Publikum sind.

Ich werde ihnen dann meine alten und zittrigen Hände reichen.

4 Gedanken zu “Von Zapfsäulen

  1. Simone Hartung sagt:

    DANKE dafür, für diese wundervolle Tat und für die Geschichte dazu. Mir kamen fast die Tränen.Würden doch alle Menschen, ob jung ob alt so miteinander umgehen, wie schön wäre das. Leider gibt es immer wieder genug Menschen, die es heute anderen so richtig schwer machen und sie verletzen oder erniedrigen, bzw. Die Arbeit anderer nicht schätzen können. Deshalb lasst uns mit unserer Liebe und Fürsorge die anderen mitreissen und anstecken.

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  2. Nae259 sagt:

    Gaaaaanz dicke Gänsehaut und die fühlt man beim Stillen irgendwie noch viel viel intensiver – genau wie diese Begebenheit zu fühlen ist 😊. Danke.

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