Gefiltertes Leben

Oft schreibe ich, wenn es mir gut geht. Dann sind meine Finger wie eine natürliche Verlängerung zu meinen Gedanken. Es fließt und macht Spaß.

Heute ist es anstrengend.

Ich zwinge mich ganz bewusst heute dazu, um auch mal einen solchen Tag festzuhalten. Auch wenn ich mir jedes Wort erkämpfen muss.

Man neigt dazu, nach draußen – egal ob in den sozialen Netzwerken oder im Vollkontaktleben – das Beste von sich preiszugeben. Lächelnd, aktiv, in Gesellschaft, motivierend, voller Energie. Und durch diesen Filter sehen einen dann die Mitmenschen. Tadaaaa – mein Leben ist so toll!

Aber Fakt ist: Heute ist es anstrengend.

Nicht nur heute. An vielen Tagen bin ich bereits müde, wenn ich aufwache. Ich meine nicht dieses „Ich-will-noch-ein-bisschen-schlummern-müde“. Ich meine: ausgelaugt. Kraftlos. Dann fallen die kleinsten Dinge unglaublich schwer. Nützt aber nichts, gemacht werden müssen sie dennoch. Du kannst dich mir vorstellen wie einen Heliumballon, aus dem das meiste Gas bereits entwichen ist. Ich halte mich so eben über dem Fußboden und ein leichter Windstoß verändert meine Position.
Noch vor ein paar Tagen war ich prall gefüllt, glänzte bunt in der Sonne und drängte gen Himmel. Dann laufe ich auch mal 14 Kilometer und bin nicht kaputt zu kriegen. An solchen Tagen fällt mir das Lächeln so leicht.

Heute ist es anstrengend.

Hier und da kann der Eindruck entstehen, ich wäre nur mit neuen Profilbildern beschäftigt. Tolle Haare hier, schick geschminkte Augen dort, hübsch – oder wahlweise affektiert. Je nach Betrachter.
So sehe ich aus, wenn es mir richtig gut geht. Wenn Seele und Optik im Einklang sind. Wenn meine Haut nicht blass und gereizt ist. Wenn meine Augen nicht rot sind, als hätte ich geheult. Wenn ich keine Schmerzen habe und Energie. In den meisten Fällen mache ich dann ein Foto. In vielen Fällen stelle ich es online. Wenn man sich jetzt mal durchklickt, an wie vielen Tagen das der Fall war, ändert sich vielleicht die Meinung einiger. Es ist auch eine Art Schutz und eine Erinnerung an mich selbst, dass es bessere Zeiten gibt. Und das hilft mir an Tagen wie heute.

Wenn es anstrengend ist.

Fakt ist, heute habe ich Angst.
Ich bin müde.
Ich sorge mich.
Ich fühle mich besiegt.
Heute kontrolliert die Krankheit mich, anstatt ich sie.

Fakt ist, dass es vielen so geht. Egal, ob mit chronischer Erkrankung oder akuter. Ob mit seelischer oder körperlicher. Ob alleinerziehend mit 2 Kids oder überschüttet mit Arbeit.

Wir alle verstecken oft, wenn wir hadern. Aber wir alle kämpfen. Wir alle lieben dieses Leben dennoch – oder gerade deshalb. Wir wissen die guten Tage zu schätzen und begehen sie in Euphorie. Wir sind emphatisch gegenüber unseren Mitmenschen und versuchen ihnen ein gutes Gefühl zu geben. Das Gefühl von Geborgenheit und Verständnis.

Wenn du also das nächste Mal urteilen willst, bedenke: Jeder dem du begegnest, kämpft einen Kampf von dem du nichts weißt.

Wenn du das nächste Mal das Lächeln von einem Menschen geschenkt bekommst, dann schätze es wert.
Er wollte, dass du dich gut fühlst.
Er wollte, dass du dich nicht sorgst.
Er wollte, dass dein Herz leuchtet.

Obwohl es vielleicht anstrengend für ihn war.

 

 

 

Und wenn du gelächelt hast, obwohl du heulen wolltest:
Menschen wie du retten diese Welt jeden Tag ❤️

6 Gedanken zu “Gefiltertes Leben

  1. Sebastian sagt:

    Ich habe lange auf diesen Beitrag gewartet liebes Stattstadtmaedchen, obwohl ich nichts davon wusste, vielen Dank dafür. Tatsächlich hatte ich genau gestern einem Freund erzählt, wie gut es manchen Menschen gehen müsse, inclusive dir. Und es fällt mir schon seit einigen Monaten schwer den Leuten ein Lächeln zu schenken, wenn einem so gar nicht danach ist, sondern man sich lieber zum Trauern in ein dunkles Zimmer zurückziehen würde. Es gelingt mir trotzdem an manchen Tagen, trotz Kampf der nicht enden wollen mag, der einen zerreisst und zur Verzweiflung bringt. Manche Päckchen sind eben richtige Pakete. Und wenn es dann nur „anstrengend“ war zu lächeln, sieht niemand wer wahrhaftig der Stärkste Mensch im Raum ist.

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    1. stattstadtmaedchen sagt:

      Hallo Sebastian,
      das klingt schon kräftezehrend nur beim Lesen.
      An manchen Tagen gelingt es mir auch nicht. Und das muss es auch nicht. Aber manchmal hilft schon das Gefühl zu wissen, dass nicht alle in Raum vom Glück geküsst sind, auch wenn sie so tun.
      Manche Pakete könnte ich nicht tragen und bewundere denjenigen, der es versucht. Wieder andere sind schon mit einem kleinen Umschlag überfordert, weil sie das Gewicht nicht gewöhnt sind.

      Das Leben treibt seltsame Blüten. Wenn ich mal beim Tragen oder Lächeln helfen kann, sag Bescheid.

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  2. Simone Hartung sagt:

    Liebe Franziska! Und wieder sprichst du uns allen aus der Seele. Es tut gut zu wissen, das wir alle nicht allein sind. Wir sind ebend die die immer lachen, auch wenn wir eigentlich lieber weinen würden. Das kostet uns allen viel kraft, zeigt doch aber auch, das wir stark sind. Lasst uns nicht aufgeben, die Sonne ist über uns am Himmel. Und es gibt ein so schönes Lied von den Puhdys zum thema, auf der CD „Es war schön“.Alles Liebe für dich und für alle anderen tapferen Helden! Simone

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  3. Henning Sabo sagt:

    Liebes Stattstadtmädchen! Als ich hier nach einer Wohnung suchte, las ich in der kostenlosen Zeitung deinen Beitrag „Heu(l)blumenmomente“ – und war so angetan, dass ich ihn ausschneiden musste. Seit einigen Monaten wohne ich nun hier (ganz in der Nähe), wodurch ich letztens „Kintsugimenschen“ in wieder dieser Zeitung entdeckte – was mich wiederum sehr berührte. Heute hatte ich den Impuls, deine Internetseite zu besuchen und habe auch dort bestätigt gefunden: eine schöne und flüssige Poesie mit Sprachspiel(en) und Sprachgefühl(en), eine Aufmerksamkeit für das scheinbar Kleine und Unbedeutende wie für das wirklich Wesentliche, eine Liebe zum Leben und zu den Menschen, eine unaufgeregte Aufrichtigkeit und eine bescheidene Entschiedenheit. Und, dies vor allem: eine alles durchringende Herzenswärme. Was für eine Freude!
    Als kleines Dankeschön mit herzlichen Grüßen das Gedicht, das ich heute auf meine Internetseite gestellt habe (http://henningsabo.de/aussaat/):

    Wie er sie schleudert, der Tag,
    
Die berauschten Momente –

    Voll Schönheit, voll Soheit, voll Stille,
    
In jedwede Szene, in jede Sekunde,

    Als hätte er ihrer mehr als genug …

    Wie er sie schüttet, der Tag,
    
Die belebten Momente –

    Voll der Liebe, des Leuchtens, der Leere,

    In jegliche Stimmung, in jetzt eben diese,
    
Als flössen sie ewiglich nach …

    Wie er sie aussät, der Tag!

    (Henning Sabo)

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