Vorwärts, wir müssen zurück!

Anfangen.
Da steckt das Wort Fangen drin. Wie in gefangen. Das passt ganz gut, denn manchmal ist man so sehr in dem Gedanken gefangen, anfangen zu müssen, dass man nicht anfängt.
Weil man nicht an den Anfang schaut, sondern bereits den ganzen Weg bis ans Ende. Man sieht die ganze Arbeit und fühlt sich erschöpft, noch bevor man auch nur einen Finger gerührt hat. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…“ funktioniert leider tatsächlich nur bei Premieren und nicht bei Wiederholungen.
Bei einer Premiere weiß man nämlich nicht, was vor einem liegt; welche Aufgaben man zu bewältigen hat. Man stellt sich diesen immer erst in dem Moment, in dem sie auftauchen und löst sie dann irgendwie. Rückblickend ist man überrascht, wie man manches geschafft hat. Bei Wiederholungen kennst du all die Hürden schon; den Kraftaufwand, den du brauchen, den Schmerz, den du fühlen wirst.

Du stehst am Anfang, schaust ans Ende und denkst: „Äh, nö!“

Du schaust am Sonntagabend schon auf den Montagmorgen und denkst „Äh, nö!“.

Du stehst am Anfang deines Studiums, mit Blick auf die Jahre die vor dir liegen und denkst: „Äh, nö!“

Du willst kochen, hast im Kopf schon den Abwasch und denkst: „Äh, nö!“

Ich bin dafür ein ganz typischer Kandidat. Deshalb vegetierte (kommt das von Vegetation? Würde Sinn machen!) mein Beld in diesem Jahr fast unbeachtet vor sich hin.
68 m², stundenlang Unkraut jäten, Rückenschmerzen: „Äh, nö!“

Nachdem ich alle Erdbeeren, Kartoffeln und Zucchini abgeerntet hatte, überließ ich der Natur ihren Lauf. Das Beld erkannte man nur noch daran, dass die Wiese in einem überraschend symmetrischen Bereich plötzlich nicht aus Gras, sondern aus Unkraut bestand. Jetzt könnte ich verschiedenste Gründe bringen, warum das so war: neue berufliche Herausforderung, viele Reisen, gesundheitliche Umstände. Am Ende sind das alles aber nur: Ausreden! Wer will findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe.
Ich wusste einfach, wie viel Arbeit das machen würde, so ganz ohne Anfangs-Zauber, und hab mich gedrückt.

Damit war es am Samstag vorbei. Es ist Mitte Oktober und es wird bald nach Schnee riechen. Wenn mich eins noch mehr lähmt als die diesjährige Aufbereitung, dann die Erinnerung an dieses Frühjahr und was passiert, wenn ich mein Beld nicht winterfest mache: Noch mehr Arbeit, noch festerer Boden, noch mehr Unkraut. Und auf DIE Wiederholung hatte ich noch weniger Lust. Also Popsbacken zusammenkneifen, Spaten schnappen und ran ans Werk. Zuerst habe ich einen neuen Erdbeerkindergarten angelegt, damit ich im nächsten Jahr NOCH mehr naschen kann. Nomnom.

Nach etwa 2 Stunden: Rücken, Unlust, MÖPgefühl. Immer vor Augen: die restlichen 60 m², die noch auf ihre Wellness-Anwendung warteten. Irgendwann war ich kurz vorm Aufgeben – mal wieder. Einen letzten Quadratmeter nahm ich mir vor und trickste mich dabei unbemerkt selbst aus. Statt mit dem Blick auf den Bereich, der  mich noch wildwüchsig auslachte , drehte ich eben diesem Abschnitt den Rücken zu.

Vor mir hatte ich damit immer nur den kleinen Teil, der bearbeitet werden musste PLUS den Teil, den ich bereits geschafft hatte. Effekt: Motivation. Mir wurde klar: wenn man etwas erreichen will, ist es zwar wichtig, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, das heißt aber nicht, dass man es die ganze Zeit anstarren muss.
Ein kleiner Blick zur Erinnerung hier und da reicht. Und dann konzentrierst du dich wieder auf den Moment. Auf das, was jetzt gerade getan werden muss und nicht das, was irgendwann noch auf dem Plan steht. Einen Fuß vor den anderen, mit dem Blick auf den Boden vor dir. Wer sich selbst überholen will, läuft Gefahr zu stolpern und zu fallen.

So gesehen: vorwärts bewegen mit dem Ziel im Rücken. Denn: ohne Anfang, kein Ende!

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Und wenn du ganz beharrlich deinen Weg gehst, steckt das vielleicht andere an, mit dir zu gehen, dich zu begleiten und sei es nur aus Mitleid. So stieß auf die letzten Quadratmeter auch B. zu mir, nahm solidarisch einen Spaten und grub um, was die Arme hergaben.  Ein Mini Flash Mob sozusagen. Dabei hasst er diese Arbeit noch mehr als ich und das will was heißen. Und weil Musik alles leichter macht, gab es ganz laut Cluesos neues Album auf die Ohren:

„Ich bin nicht immun gegen Gegenwind, doch ich lauf los.
All die schönen Erinnerungen ich halt sie hoch!
Ich fühl mich ein´ Tag schwach, ein´ Tag wie neu geboren
Ich will altes nicht bekämpfen, ich will neues formen.
Folge mein Ruf, träume von Wolken leicht.
Ich räum die Blüten aus dem Weg, nutz´ die Gelegenheit
Halt mich am Vorne fest – es fühlt sich wacklig an
Herzlich Willkommen – NEUANFANG!“

Begleitet vom Soundtrack haben wir den inneren Schweinehund – und das Unkraut – besiegt. Zumindest vorerst.
Irgendeinen Zauber hat Beharrlichkeit und Durchhaltevermögen wohl auch.

Lebt den Moment!

 

 

„Die einzige Freude auf der Welt ist das Anfangen. Es ist schön zu leben, weil Leben anfangen ist, immer, in jedem Augenblick.“ – Cesare Pavese

Ein Gedanke zu “Vorwärts, wir müssen zurück!

  1. René sagt:

    Ich hab’s erst jetzt gelesen und genau wie bei meinem letzten Besuch bei einem Gottesdienst (ist schon ein paar Jahre her), muss ich dass ich nachdenklich geworden bin und mich wiedererkannt habe.

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