Heu(l)blumenmomente

Es gibt Momente, da reicht ein kleiner Auslöser um dich aus dem Alltagsstrudel zu reißen.
Die Zeit, die bisher an dir vorbeigerast ist wie der Schweif einer Sternschnuppe – abstrakt, hell, nicht greifbar – wird plötzlich wieder dicker, zähflüssiger.
Aber das fühlt sich gut an, weil du zur Ruhe kommst. Und dann stehst du plötzlich willkommen verwundbar da und alles, was dich berühren soll, berührt dich auch wieder.Bei mir waren es heute drei Worte.

Friede deiner Seele.

Ich weiß nicht mal mehr, wo ich sie gelesen habe – nur, dass sie Beileid ausdrücken sollten. Warum nur das? Es sind so wundervolle Worte.

Friede deiner Seele.

Wenn es irgendwo wirklich einen bärtigen Wunscherfüller gibt (ich meine diesmal nicht B.!), dann wünsch ich mir genau das: Friede meiner Seele. Wenn dort Frieden herrscht, kann um mich herum das blanke Chaos sein.

Just in diesem empfänglichen Zustand habe ich dann das Video von (NEIN NICHT ED*KA!) „Dorian & Daniel“ gesehen. Zwei Filmstudenten, die einen Werbespot für eine Whiskeymarke gedreht haben. Ich würde behaupten, nicht sonderlich kommerzaffin zu sein, aber hier geht es auch weniger um das Produkt, als um die Message. Der darin gesprochene Text lautet übersetzt:

Geliebter Bruder,

die Straßen unserer Jugend entlanggehend,
durch das Land unsere Kindheit, unserer Heimat und unserer Wahrheit

sei in meiner Nähe, führe mich
bleib immer bei mir, damit ich frei sei kann. Frei.

Lass uns durch diese Gegend streifen,
vertraut und weit,
unseren grün gerahmten Spielplatz,
unsere Vergangenheit.

Wir waren Wanderer,
nie verloren, immer zu Hause.

Als jeder Ort ungezäunt war
und die Zeit endlos,
waren unsere Wege immer die gleichen.

Beruhige meine Dämonen und geh mit mir Bruder,
bis unsere Wege sich trennen.
Und wenn dein Herz voll Trauer ist, lauf weiter, ruhe nicht
und versprich mir von ganzem Herzen,
dass du nie deine Erinnerungen sterben lassen wirst.
Niemals.

Ich werde immer am Leben und an deiner Seite sein,
in deiner Vorstellung.

Ich bin frei.

Gerade zur jetzigen Zeit, die so besinnlich sein sollte und uns doch bis zur Besinnungslosigkeit stresst, weil sie uns zu immer neuer Höchstform anpeitscht, macht mich das sehr nachdenklich.

Ich denke nach, über alle, die mit mir durchs Leben hetzen. Über alle, für die ich zu wenig Zeit habe, weil ich hetze. Über alle, mit denen ich keine Zeit mehr verbringen kann, die nun aber hoffentlich nicht mehr hetzen müssen.
Momente gehen zu schnell vorbei. Noch viel schneller, wenn man sie nicht beachtet. Hören wir also auf, ständig auf der Jagd zu sein – getrieben vom Ehrgeiz des Alltags. Hören wir stattdessen mal zu. Oder sehen hin. Oder berühren und lassen uns berühren.

Du hast kein Geschenk für jemanden, dem du aber gern etwas schenken möchtest? Weil du keine Idee hast? Weil du keine Zeit hast, darüber nachzudenken oder nicht einmal,  um demjenigen zuzuhören und zwischen den Zeilen zu lesen?
Schenke dieser Person Momente. Schreib eine Karte. Sieh ihm in die Augen und sage ihm, was du ihm schon immer sagen wolltest. Schenke ihm ein Herzenslächeln. Aufmerksamkeit.
Die wenigsten werden sich in einigen Jahren daran erinnern, für welche Läden sie Gutscheine bekommen haben. Wohl aber, welche Momente sie verbracht haben. Und das wird ihnen auch dann noch ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Ein Geschenk mit Nachhall …

enjoy
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Ich zum Beispiel erinnere mich genau an das Lächeln meines Vaters, als er mir das letzte Geburtstagsgeschenk seines Lebens überreichte. Nicht aber an den Inhalt.
Ich erinnere mich an den 40. Geburtstag meines Bruders, dem die Überraschungsparty mit lang vermissten Freunden die Tränen in die Augen trieb, seiner Freundin sei Dank.
Ich erinnere mich an das Herzklopfen, beim ersten Treffen mit B.
Ich erinnere mich sehr genau an das Kleid, dass ich mit meiner liebsten Freullegin eines Heiligabends im Schnellshopmodus gekauft habe, nicht aber an den Preis.
Ich erinnere mich an so viele Lachflashs und Heulkrämpfe mit meiner besten Freundin.
Ich erinnere mich an jeden Heiligabend mit meiner Mama.
Ich erinnere mich an so viele Momente mit so vielen Menschen – Freunden, Familie, Idioten.
Das ist es, was zählt!

Und selbst Momente, an die man sich nicht erinnern kann, schenken einem etwas. Jeder, der schon einmal einer Vereinsweihnachtsfeier beigewohnt hat, dürfte das Gefühl kennen: Ich weiß nicht mehr genau, was da alles tolles passiert ist, aber hey: es WAR toll. Polonaise, Paartanz, Partybuffet. Es braucht wirklich nicht viel für eine gute Zeit. Außer eben Menschen, die sich darum kümmern. Freiwillige hinter der Bar (vor der Bar gibt es überraschend viele, habe ich festgestellt), Salatemacher, Stimmungskanonen – Fertig.

Auch ein Vergessmoment: wenn dir entfällt, dass du herrlich aromatischen Käse gekauft hast. Und dann von Krämerlädchen zu Krämerlädchen spazierst und dich fragst, warum die Frau neben dir akzeptiert, dass ihr Mann ganz unverblümt einfach in den Laden flatuliert. Selbst mein Naserümpfen wurde ignoriert. Seltsam wurde es dann nur im nächsten Laden. Ich war allein und es roch genauso. Naja, Erinnerung wieder da: herrlich aromatischer Käse eben. Wie kann eigentlich etwas, das einen Heublümchenrand hat, riechen wie ein Rektalwind?
Versteh einer die Welt.

In diesem Sinne: tolle Festtage im Kreise eurer Liebsten.
Schenkt Momente. Oder Heublumenkäse.

Einen guten Start in 2016 – Friede eurer Seele!

7 Gedanken zu “Heu(l)blumenmomente

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